Eine kleine Hausindustrie

Der Gasthof von Chiareggio. Seitenansicht.

Der Komplex der Taverne bestand aus mehreren vereinten Gebäuden, die als Ställe und verschiedenen Unterkünfte dienten. Es gab einen großen Gemüsegarten, eine tégia das heißt übersetzt eine Hütte für Milchwirtschaft und eine "corte", die aus Nebengebäuden und Weideland bestand.

Der Pachtvertrag der Taverne gab interessanten Aufschluß über das Eigentumsrecht. Es gab eine klare Unterscheidung zwischen dem Eigentümer, der als Wirt von Chiareggio bezeichnet wird, und dem Pächter oder Leiter. Obwohl der Eigentümer Wirt genannt wurde, leitete er nie direkt die Taverne und gehörte im allgemeinen einer wohlhabenen Familie an, wie die Familie Chiesa, die seit Jahrhunderten verschiedene Eigentümer hatte, aber andere Arbeiten ausführte, wie zum Beispiel die eines Notars. Der Pächter hätte Wirt genannt werden müssen, denn er hatte das Gasthaus gemietet und bewirtschaftet und er wohnte auch dort. Der Mietvertrag sah außerdem eine Verpflichtung der Aufzucht und Weidung von vierzehn Kühe und einem Rind vor.

Das Gasthaus bildete eine Art kleine, fast selbstständige Heimindustrie, wenn man bedenkt, dass wichtige Lebensmittel wie Milch und Molkereiprodukte von dem Gasthofbesitzer garantiert wurden; das Fleisch und die Lederwaren wurden auch hier produziert und andere Fleischarten wie Geflügel wurden ebenfalls aus der eigenen Zucht garantiert. Im Gemüsegarten wurde das Gemüse angebaut, während die Weiden das Futtermittel für die Tiere der reisenden Kaufleute lieferte. Andere Lebensmittel und verschiedene Gebrauchsgegenstände wurden vom Tal nach Chiareggio gebracht: wie Salz, Mehl, Wein, Eisen- und Metallwaren, Kerzen, Fässer, Bettwäsche, und Decken, Teller, Schalen aus Holz und Majolika und "laveggi" (Speckstein Töpfe).

Während die Arbeit des Züchters schon ab dem Frühjahr bis in den Herbst hinein eine ständige Präsenz erforderte, begann die Arbeit des Wirtes und Hoteliers viel später, nämlich in den Sommermonaten, und wenn die Saison es erlaubte, bis in den Oktober hinein. Es gibt keine genauen Schätzungen über die Anzahl der Reisenden, die während ihres Transits im Gasthof Chiareggio Rast machten. Jedoch kalkuliert man auf einer Strasse wie dieser etwa 10.000 Bürden Wein.

Wo auch immer die Kaufleute hinwollten, der Gasthof von Chiareggio war ein muß, und nicht nur für eine kurze Erfrischung, sondern auch um länger zu bleiben, zum Beispiel bei schlechtem Wetter, da es auf dem Pass bei Gewitter oder Schneesturm sehr gefährlich war. Dieser Gasthof diente auch den Hirten als Treffpunkt in den Sommermonaten, in denen sie mit ihren Herden auf den Almen waren. Nicht zuletzt wurde sie auch als Rettungsstation benutzt, bei Unfällen durch Erdrutsche, Stürme oder wenn es unschöne Begenunfen gab mit Bären, Wölfen, und manchmal auch mit Banditen.

Literaturnachweis

  • Masa Annibale – De Simoni Giovanni, Inventario dei toponimi valtellinesi e valchiavennaschi. 8 Territorio comunale di Chiesa in Valmalenco, Società Storica Valtellinese, Sondrio 1976
  • Corbellini Giancarlo, Vicende dell'insediamento umano in Valmalenco, Tesi di laurea, Università degli Studi di Milano, a.a.1968-69
  • Corbellini Giancarlo, Fra Valtellina ed Engadina. Natura Cultura Escursioni, Bologna, Zanichelli 1987
  • Masa Saveria, L’osteria di Chiareggio, in “Bollettino della Società Storica Valtellinese”, n. 46.1993, pp. 95-114
  • Masa Saveria, La “strada cavallera” del Muretto (Valmalenco: transito e commerci su una via retica fra Valtellina e Grigioni in epoca moderna, Tesi di laurea, Università degli Studi di Milano, a.a. 1992-93